Zen ist Erziehung in Stille.
In der Stille erhebt sich
der unsterbliche Geist
und wortlos kommt die Freude.
Zen ist die Essenz des Buddhismus,
Freiheit ist die Essenz des Zen.
Im Grunde geht es im Zen einzig und allein darum, das verborgene Potential des menschlichen Geistes freizusetzen. Der chinesische Zen-Meister Yingan sagte: "Das Zen-Leben ist der kürzeste Weg; er erfordert nicht den geringsten Kraftaufwand, um Erleuchtung zu erlangen und Zen unmittelbar da zu verwirklichen, wo du bist."
Die Freiheit, die das Anliegen des Zen darstellt, ist nicht in weiter Ferne, sondern hier in dieser Welt zu finden. Sie bedarf keiner ihr selbst fremden Maßnahmen, sondern kann inmitten unserer normalen Beschäftigungen und Verrichtungen ins Werk gesetzt werden. Sie ist unmittelbar anwendbar und entwickelt sich natürlich.
Doch wenn die Zen-Freiheit auch in der Welt ist und wirkt, so ist sie doch letztlich nicht von der Welt, also nicht jener Freiheit zu vergleichen, die von einem gesellschaftlichen oder politischen System eingeräumt und garantiert wird. Im Zen würde man sagen: Freiheit, die von Dingen der Welt abhängt, kann untergraben werden, und Freiheit, die gewährt wird, kann genommen werden.
Zen klärt den Geist, so dass er seines eigenen wahren Wesens innewerden kann; in diesem Innesein der wesenhaften Reinheit des Geistes bleibt man ohne besonderes Zutun in allen Lebenslagen ausgeglichen und frei und kann von dort aus die tägliche Erfahrung läutern.
Erleuchtete Zen-Freiheit, in der Welt und doch nicht von der Welt sein - dafür kennt die Tradition das Bild des Lotos, der im Schlamm wurzelt und über dem Wasser blüht. Es ist kein negatives Sich-Abkehren gemeint, sondern ein Gleichgewichtszustand von Unabhängigkeit und Offenheit. Diese Freiheit wird nicht durch formale Anstrengungen verwirklicht, sondern durch unmittelbare Erfahrung, in der das Wesen des menschlichen Geistes sich offenbart und entfaltet.
Das Paradoxe der Zen-Freiheit besteht darin, dass sie immer schon gegenwärtig und greifbar nah ist, sich aber doch irgendwie entzieht, sobald sie bewusst gesucht wird. Sie kommt aber dem entgegen, was Bu'nan "Suchen, ohne zu suchen" nennt. Yingan hat es so ausgedrückt: "Im Zen gibt es nichts, was man ergreifen könnte. Wenn Menschen, die sich im Zen schulen, es nicht sehen, so liegt es daran, dass sie zu ungeduldig drauflosstürmen."
Deshalb sind klassische Zen-Bücher keine Leitfäden der Lehre und des Rituals, denen man folgen könnte wie einem systematischen Schulungsprogramm, das einen jeden Schritt für Schritt zum innersten Heiligtum führt. Sie wollen uns nicht Ideen und Überzeugungen eintrichtern, sondern schlafende Dimensionen des Bewusstseins wecken.
Die Essenz des Zen-Ansatzes erscheint trügerisch simpel, wenn wir etwa die Worte des chinesischen Meisters Yuanwu betrachten: "Lege alle Sprüche beiseite, die du gelernt hast, und alle intellektuellen Anschauungen, die deinem Fleisch anhaften." Zen ist die Essenz des Geistes, aber nur da, wo es ganz frisch ist; wo es Idee geworden ist, da ist die Essenz schon aus dem Blick geraten. Für das Zen besitzen Schriften nur als unmittelbarer Anstoß einen Sinn, nicht aber als Ideologie.
Es liegt in der Natur des Zen, dass seine Essenz weder dem Osten noch dem Westen gehört. Die alten Meister haben immer wieder gesagt, dass diese Essenz keiner bestimmten Kultur oder Philosophie zu eigen sein kann-und schon gar nicht bestimmten Gruppierungen oder gesellschaftlichen Klassen. Ein Zen-Dichter merkt dazu an: "Auf wessen Tür scheint der Mond nicht?" Die Essenz des Zen ist Ursprung, nicht Produkt der Idee, und das unterscheidet sie von aller abgeleiteten Philosophie, Religion, Kunst und Wissenschaft.
Es gibt viele Zugänge zum Zen und noch mehr Möglichkeiten, die sich durch das Zen erschließen. Zen hat einen direkten Bezug zu der Beziehung zwischen Geist und Kultur, welche Kultur das auch sein mag.